Achilles‘ Verse

Gute Vorsätze, dumme Gedanke

Immer zu Beginn eines neuen Jahres nimmt sich auch Wunderläufer Achim Achilles frohgemut vor, künftig alles ganz anders zu machen: Weniger essen, mehr trainieren. Man muss damit ja nicht unbedingt gleich im Januar anfangen.

Mona hat sich im Schlafzimmer eingeschlossen. Das passiert immer Anfang Januar. Die Gattin hat eine sehr eigene Art, ihre guten Vorsätze fürs neue Jahr über die 48-Stunden-Marke zu retten. Die Jungs und ich liegen mit den Ohren an der Tür und grienen gespannt. Erst hört man ein leises Knirschreißen, so als ob man langsam einen Salt-and-Vinegar-Chip zerbeisst. Dann folgt Monas wenig damenhaftes Fluchen. Klare Sache: Der Badeanzug vom letzen Jahr ist hin. Bevor wir erwischt und beschimpft werden, verkrümeln wir uns in die Küche und suchen nach Essbarem.

Erfahrene Läufer wissen: Gute Vorsätze sind wie Bestzeit-Versuche – eine schöne Idee, aber immer kommt was dazwischen. Ist doch klar: Silvesterabend, weihnachtsrund und schaumweinprall, kommt man leicht mal auf dumme Gedanken und meint, sein Leben ändern zu müssen, sofort und allumfassend: mehr Sport, weniger Essen, im neuen Jahr endlich mal so zufrieden sein wie die gebotoxten Zombies in Werbefernsehen und Lebenshilfeliteratur: Schlaf Dich schlank! Atme Dich schön! Stretche Dich schnell! Und reiß Dich endlich mal zusammen, Du naschsüchtiges, träges Stück durchwachsenes Bauchfleisch. Spätestens am nächsten Morgen, mit der dicken Birne, fragt man sich entgeistert: Wie konnte ich mir nur vornehmen, gleich heute morgen mit dem Sport anzufangen?

Würden gute Vorsätze länger halten als eine Kopfschmerztablette, warum sind dann nur am ersten Tag des Jahres die Fitness-Studios voll mit Menschen, die in italienischen Leichtleder-Pantinen hilflos vor dem Display des Laufbandes stehen, wahllos herumdrücken und, zack, mit den Schneidezähnen im Haltegriff landen, wenn die Maschine überraschend anruckt, um sich gleich darauf mit den Kabeln ihrer Elektronik-Gerätschaften zu strangulieren. Spätestens dann flutscht das Preisschild hinten aus dem Hemd, das noch die Bügelfalten aus dem Laden trägt.

Gewicht ist wie eine Nordseewelle

Nach zwanzig Minuten jedenfalls humpeln die ersten Vorsatz-Freaks mit Bänderriss in die Umkleide, wenig später trifft der erste Krankenwagen ein. Routinierte Chirurgen nehmen bevorzugt in den ersten vierzehn Tagen des Jahres Urlaub: Denn da müssen rund um die Uhr jene Sport-U-Boote zusammengeschraubt und -gegipst werden, die immer nur für ein paar Tage im Jahr auftauchen. Ungeklärt bleibt die Frage, wer es auf mehr Spiralbrüche des Oberschenkelknochens bringt: Gelegenheits-Skifahrer oder Januar-Athleten? Spätestens in der zweiten Woche des Jahres ist die gute, alte Fitness-Studio-Besatzung wieder unter sich und nur das Laufband um ein paar Blutspuren reicher.

Wenn Mona wutschnaubend aus der Garderobe rauscht, traktiert sie selbst erklärte Vorsatz-Gegner wie mich mit neuen Lebensregeln. Die Kunst besteht darin, rasch noch alle Schokoladenreste von Weihnachten zu vernichten, bevor sich der große Orkan des veganen Darbens über uns zusammenbraut. Kaum habe ich dem großen Sohn die Mütze des letzten Weihnachtsmannes entwunden, eben jene Stelle, wo die Schokolade am dicksten ist, da tritt auch schon die willensstarke Gattin in die Küche. „Es reicht jetzt wirklich“, schnaubt sie. „Was denn?“, frage ich leutselig. „Ab sofort leben wir gesund“, befiehlt sie.

Ich verstehe nicht genau, wieso ich ein Problem bekomme, weil meine Gattin unter textilem Stress steht, andererseits: Das Geheimnis langjähriger Beziehungen besteht darin, nicht allzu viel zu fragen. Ehe ist eben wie Marathon: lange, schmerzhaft, ohne viel Sinn, aber man muss es trotzdem mal mitgemacht haben. Wie jeden Januar schnappt sich Mona eine große Mülltüte, reißt Kühlschrank und Vorratsschubladen auf und erklärt alles zu Müll, was schmeckt.

Der Läufer macht sich diesen Stress ja schon lange nicht mehr. Das Gewicht ist wie die Nordseewelle, ein stetes Kommen und Gehen. Trainingspläne und Wettbewerbe des neuen Jahres reichen als druckmittel vollauf, nicht der 1. Januar ist D-Day, sondern zum Beispiel der 10. April, wenn in Bonn Post-Marathon ist. Das ist mal ein guter Vorsatz.

Die Neujahrs-Pläne dagegen funktionieren schon deswegen nicht, weil der Vorsetzende sie selbst definiert. Niemand befiehlt die guten Vorsätze, außer Mona vielleicht, niemand ist schuld daran, wenn sie nicht klappen. Ich wäre also eigenverantwortlich tätig, trüge die ganze Verantwortung, wäre am Ende auch allein mit meinem Versagen. Wie grausam. Da lobe ich mir doch die gute alte Marathon-Anmeldung. Die kann man bis zwei, drei Wochen vorher durchaus ernstnehmen, ja, bis dann dieser böse Virus wieder zuschlägt, die Knie verlässlich puckert oder die Hüfte knarzt. Ehrlich, dieses Jahr wird noch mal richtig angegriffen, ohne Gnade. Aber nicht gleich im Januar.

Quelle: www.spiegel.de/sport

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